Texte aus 90 Jahren Kriegspropaganda beider Kirchen von Niemöller, Lilje, Wallraff und Gerdes
Auf dem diesjährigen Magdeburger Friedensfestival wurde folgender Vortrag gehalten, der Autor des Vortrages genehmigte die Veröffentlichung und bat darum dem Text noch einige Zeilen hinzuzufügen, diese seinen dem Text vorangestellt:
Nicht unmittelbar auf den Krieg bezogen, aber typisch für die uneingeschränkte Begeisterung protestantischer Theologen für den gottgesandten Führer Adolf Hitler ist auch folgender Text, den ich auszugsweise zitiere: Im Festvortrag auf dem Diakonentag 1933 anlässlich der Hundertjahrfeier des „Rauhen Hauses“ in Hamburg sagte Horst Schirrmacher, der damalige Direktor des Centralausschusses der Inneren Mission unter anderem: „Wir grüßen euch alle als die SA Jesu Christi und die SS der Kirche, ihr wackeren Sturmabteilungen und Schutzstaffeln im Angriff gegen Not, Elend, Verzweiflung und Verwahrlosung, Sünde und Verderben. … Bemüht euch in allerkürzester Frist, in ein kameradschaftliches Verhältnis zu SA, SS und Stahlhelm zu kommen. … Ich wünsche, dass unsere jungen Brüder in den Diakonenanstalten sämtlich SA-Männer werden. Der alte Bodelschwingh hat für die Diakonie die Ausbildung mit der blauen Schürze verlangt. Aber zur blauen Schürze gehört heute das braune Hemd.“
Und tatsächlich haben Diakone des Stephansstiftes Hannover als SA-Männer 1934 Wachdienst im Kozentrationslager Papenburg und anderen Straflagern im Emsland übernommen.
Mit freundlichem Gruß Johannes Gerdes
Texte aus 90 Jahren Kriegspropaganda beider Kirchen von Niemöller, Lilje, Wallraff und Gerdes
Mein Name ist Johannes Gerdes. Die längste Zeit meines Lebens war ich ein frommer Christ und ein sehr eifriger Kirchenmusiker. Ich wurde vor 90 Jahren in eine fundamentalistisch-evangelikale Familie hineingeboren und habe alles, was mir als Kind und Jugendlichem in Familie und Gemeinde vermittelt wurde, verinnerlicht und praktiziert. Erst an der Schwelle zum Rentenalter wurde mir nach einem langen und schmerzhaften Prozess des Nachdenkens und Erkennens bewusst, dass ich falsch indoktriniert worden bin. Hauptgrund dieses Umdenkens war die ständig zunehmende Wahrnehmung der verhängnisvollen Affinität des Christentums zu Intoleranz, Gewalt und Krieg, die die behauptete Lehre von Liebe und Barmherzigkeit lügen straft. Da diese nach meiner Erkenntnis grundfalsche Behauptung aber nach wie vor weit verbreitet ist, will ich Ihnen beispielhaft einige Texte aus den Jahren meines Lebens zur Kenntnis geben, die mich zu so schwerwiegender Beschuldigung veranlassen.
Christen an die Front!
1935, kurz vor meiner Geburt wurde in Deutschland die Wehrpflicht wieder eingeführt. Wenig später sprach Martin Niemöller, einer der bekanntesten deutschen Theologen, der zusammen mit anderen Theologen 1934 die Bekennende Kirche begründet und dann geleitet hat, in der überfüllten Hannoverschen Marktkirche über „Den Frieden Gottes als die Kraft des wehrhaften Mannes“.
Darin sagte er unter anderem:
Wir, die wir den letzten Krieg mit all seinen Schrecken und mit all seinen furchtbaren Auswirkun-gen und Nachwirkungen mit durchlebt und durchlitten haben, wir, die wir wahrhaftig zu wissen meinen, dass der Krieg ein Übel, und zwar ein ganz furchtbares Übel unter den Übeln dieser Welt ist, in der wir leben, wir sind gewiss dagegen gefeit, den Krieg zu verherrlichen oder als einen gesunden Aderlass oder als ein heilsames Mittel zur Ausscheidung untüchtigen Lebens zu verharm-losen. …
Aber freilich, dass alle nur menschlichen Bemühungen doch nicht dahin führen, die Kriegsgefahren aus der Welt zu schaffen und den Streit der Völker friedlich zu schlichten, das ist für uns heute wieder zur schmerzlichen Erkenntnis geworden. Und dass ein wehrloses Volk eine ständige Versuchung und ein dauernder Anreiz zu kriegerischen Überfällen ist und bleibt, haben wir als Tatsache anzuerkennen. …
Gott hat die von ihm geschaffene und von ihm abgefallene Welt unter das Gesetz gestellt und der Obrigkeit den Befehl gegeben, das Gesetz zu hüten und dem Bösen zu wehren. Dazu trägt sie das Schwert, dazu hat sie Polizei und Gerichte und Gefängnisse und Henker. Und so hat die weltliche Macht des Staates auch das Leben des Volkes zu schützen und notfalls mit der Waffe, die ihr gegeben ist, zu verteidigen; und wir sind ihr zu dem Dienst verpflichtet, den sie dazu von uns fordert. …
Ein Krieg kann ein furchtbares Verbrechen sein, er kann aber auch ein Notwerk sein, dem sich ein Staat um Gottes willen unterziehen muss, wenn er sich nicht seinem göttlichen Auftrag versagen will. …
Jedenfalls ist es heute nicht nur erlaubt, sondern geboten und notwendig, dass ein Staat, der den Auftrag hat, ein Volk vor dem Unrecht zu schützen, dafür Sorge trägt, dass er – für den Fall, dass alle andern Mittel nicht mehr ausreichen – über eine Wehrmacht verfügt, die eine Warnung darstellt an alle, die sich mit bösen Plänen tragen, und die nötigenfalls einem Angriff auf Recht und Leben der Nation kämpfend begegnen kann. …
Wäre Kriegsdienst an sich wider Gottes Gebot, dann hätten wir gar nichts dazu zu sagen, sondern könnten nur warnen, sich nicht leichtfertig mit dem Teufel einzulassen. Aber es geht hier um ein echtes weltliches Amt, das für diese Welt nötig ist und das ebensowenig mit dem Hinweis auf das fünfte Gebot: „Du sollst nicht töten!“ abgetan werden kann, wie das Richteramt unter Jesu Wort fällt: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet! “ …
Auch wenn wir wissen, dass alles Kriegführen wie alles Richten und Strafen eine Folge der Sünde und darum ein Übel ist und bleibt, sehen wir in dem wiedererstandenen Wehrwillen unseres Volkes und Staates eine Rückkehr in die harte Wirklichkeit einer Welt, die keinen wahren Frieden kennt und dem Übel immer nur wehren, es aber nicht fortschaffen kann. Und wir sehen in dem wehrhaf-ten Mann, der die Waffe trägt im Dienst der Nation, den christlichen Bruder, dem mitten in seinem weltlichen Amt die frohe Botschaft von Jesus Christus gilt. …
Die Frage ist uns gestellt, ob ein Christ ein wehrhafter Mann und ein wehrhafter Mann ein Christ sein könne. …
Und wir tun recht daran, wenn wir zur Wehrhaftmachung unserer Nation auch und vor allem die Bemühungen rechnen, die die geistige Wiederaufrüstung betreiben, die die Liebe zu Volk und Land, den Willen zum Opfer und zur Hingabe und die Entschlossenheit, das Wohl des Ganzen über das Glück des Einzelnen zu stellen, wecken und stärken wollen. …
Das Bild des wehrhaften Mannes aber sollte wahrlich anders aussehen, als es sich uns so darstellt. Es sollte nicht die Züge unseres bald trotzigen, bald verzagten Herzens widerspiegeln, sondern erkennen lassen, dass wir als wehrhafte Männer dort, wo wir die Waffe tragen und führen, in einem Amte stehen, das Gott dem Staate und durch ihn uns gegeben und anbefohlen hat. …
Ob Frieden oder Krieg unser warten, steht nicht bei uns; aber gewiss gehen wir keinen leichten, sondern harten Zeiten entgegen. Wir werden einen Existenzkampf zu führen haben bis aufs Blut und stehen wohl schon mittendrin. …
Das sind aber die Zeiten, in denen es heißt: Die Christen an die Front! Und es wird sich hier beweisen müssen, ob der Friede Gottes die Kraft ist, in der wir unserm Volk und Reich in echter Wehrhaftigkeit dienen: gehorsam, tapfer, furchtlos und treu. Gott aber helfe uns dazu!
Die Rekruten, die nun massenweise zum Militärdienst eingezogen wurden, wurden in besonderen Gottesdiensten eingesegnet. Dafür verordnete die Bekennende Kirche dieses Gebet:
… Lass die Männer, die in diesen Tagen in die Reihen unseres Heeres treten, ihren Dienst beginnen in Freudigkeit, in der Zucht deines Willens und in der Mannhaftigkeit deines Friedens. Denn dein Wille steht wider alle Zuchtlosigkeit, dein Friede ist die Kraft des wehrhaften Mannes. …
Hermann Kunst, 1939 – 1945 Kriegspfarrer der Wehrmacht, 1957 – 1972 erster Militärbischof der Bundeswehr, sagte bei einem solchen Gottesdienst: Ihr seid bis an euer Lebensende keine Privat-personen mehr, sondern eine dem Führer verschworene Kampfgemeinschaft. Keine Überlegung, kein Reiferwerden entbindet euch von diesem Eid. …
Äußerten Christen beider Konfessionen später Zweifel an der moralischen Rechtmäßigkeit ihres bedingungslosen soldatischen Gehorsams, wurden sie von ihren Seelsorgern massiv unter Druck gesetzt mit dem religiös begründeten Hinweis darauf, dass der Fahneneid über allen moralischen Bedenken und Verpflichtungen stehe. Im Extremfall wurde z.B. Franz Reinisch, einem als Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilten österreichischen Pater, vor der Hinrichtung sogar die Kommunion verweigert.
In der Schrift „Der Krieg als geistige Leistung“ von Hanns Lilje, einem der führenden Köpfe der Bekennenden Kirche, die 1941 massenweise im Heer verteilt wurde, ist zu lesen:
Schöpferisch ist der Krieg in dem Sinn, dass er ein Teil aus Gottes Wirken ist, und Gottes Wirken kann darin bestehen, dass er dem Neuen Raum schafft, indem er Altes der Zerstörung anheimfallen lässt. … Darin, dass der Krieg dem Werden einer neuen geschichtlichen Ordnung dient, besteht seine Würde. … Die geistige Leistung, die der Krieg von dem Einzelnen fordert, besteht darin, dass er mit allen geistigen und sittlichen Mitteln, die ihm Gott gibt, sich seinem Schicksal zu stellen trachtet, jenem großen, einmaligen Schicksal seines Lebens, das ihm im Kriege mit einer Deutlichkeit und Dringlichkeit gegenübertritt, der er nicht ausweichen kann. … Man muss von stichhaltigen Gründen wissen und von einer mehr als menschlichen Vollmacht, wenn man den Einzelnen oder ein Volk zu diesem Opfer rufen will. … Da muss nicht nur auf den Koppelschlös-sern der Soldaten, sondern in Herz und Gewissen stehen: „Mit Gott!“ Nur im Namen Gottes kann man dieses Opfer legitimieren. …
Die zum Himmel schreiende Lüge vom Kampf der Bekennenden Kirche gegen den NS-Staat
Im Dritten Reich herrschte in Deutschland ein Kirchenkampf, der später als Kampf der Bekennenden Kirche gegen den nationalsozialistischen Staat bezeichnet wurde. Das ist eine Lüge, auch wenn es bis heute von fast allen Deutschen geglaubt wird. Die Bekennende Kirche hat ebenso wie alle protestantischen Landeskirchen und katholischen Bistümer alle Maßnahmen Hitlers zur Vorbereitung des 2. Weltkrieges begrüßt und unterstützt. Ihr Kampf richtete sich hauptsächlich gegen die von Rosenberg und Ludendorff angeführten Deutschen Christen, mit denen sie in Denkschriften und anderen Aktionen um die Gunst Adolf Hitlers konkurrierte. Karl Barth, der wichtigste Theologe der Bekennenden Kirche, maßgeblich beteiligt an der Formulierung der Thesen der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, war seinen Kollegen in deren Leitung bei ihrer Anbiederung an den NS-Staat sehr bald unbequem, ja untragbar, und wurde als gebürtiger Schweizer schon im folgenden Jahr nicht nur aus dem Leitungsgremium, sondern aus Deutschland überhaupt hinaus gemobbt. Aus der Fülle vieler den Krieg propagierender Aktivitäten beider Kirchen, die ich erfahren und erlebt habe, teile ich ihnen nachfolgend einige Splitter mit.
Nach dem Anschluss Österreichs verordnete die Bekennende Kirche 1938 folgenden Text zur Verlesung in den Gottesdiensten ihrer Gemeinden:
Das Geschehen der letzten Wochen, das Werden des Großdeutschen Reiches, der Entscheid des Volkes und die Wahl des ersten Großdeutschen Reichstages bewegen die gesamte evangelische Kirche und auch unsere Gemeinden aufs tiefste. Was wir an Dank und Bitte auf dem Herzen tragen, bringen wir im Gebet vor den allmächtigen Gott. Wir schließen uns mit allen Bekennenden Gemeinden Deutschlands zusammen in dem Gebet, das die vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche uns für den heutigen Tag dargereicht hat:
Herr unser Gott, du führst unser Volk durch entscheidende Tage seiner Geschichte. Du lässt unsere deutschen Brüder in Österreich in das Deutsche Reich zurückkehren. Du schenkst unserer Kirche die Vereinigung mit den evangelischen Gemeinden der deutschen Ostmark, die ihren Glauben in jahrhundertelangem Ringen verteidigen musste. Herr, wir loben Deinen Namen und bitten: Leite Führer und Volk nach Deinem heiligen Willen, lass Deine Gnade groß werden über unserer ganzen deutschen evangelischen Kirche.
Nach dem Überfall auf Polen (1939) schließt sich die Bekennende Kirche dem Aufruf der Deutschen Evangelischen Kirche an:
Seit dem gestrigen Tag steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blute heimkehren darf. Die Deutsche Evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Wort Gottes gereicht: die Zuversicht des Glaubens, dass unser Volk und jeder Einzelne in Gottes Hand steht, und die Kraft des Gebetes, die uns in guten und bösen Tagen stark macht. So vereinigen wir uns auch in dieser Stunde mit unserem Volk in der Fürbitte für Führer und Reich, für die gesamte Wehrmacht und alle, die in der Heimat ihren Dienst für das Vaterland tun. Gott helfe uns, dass wir treu erfunden werden, und schenke uns einen Frieden der Gerechtigkeit.
Theophil Wurm, als Bischof der ev. Landeskirche Württembergs auch ein Wortführer der Bekennenden Kirche, schließt einen Kanzelaufruf in diesen Tagen mit den Worten:
… Gott ist unsere Zuversicht und Stärke. Im Aufblick zu ihm stehen wir fest und treu zu unserem Volk. Ihn flehen wir an für Volk und Führer, für Heimat und Heer. Ihm übergeben wir alle unsere Lieben in der Nähe und in der Ferne. Ihn bitten wir, dass er uns ausrüste für unseren Dienst hinieden und uns aushelfe zu seinem himmlischen Reich! Amen.
Noch als persönlicher Gefangener Adolf Hitlers bat Niemöller nach Kriegsausbruch darum, seine Erfahrung als U-Boot-Kommandant im 1. Weltkrieg und später als Offizier der „Schwarzen Reichswehr“ bei der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes im Ruhrgebiet an der Front bewähren zu dürfen.
Die Frauen und Mütter daheim ermahnte die Evangelische Reichsfrauenhilfe:
Der Führer hat das Volk aufgerufen zur Verteidigung seiner Lebensrechte. Die Männer stehen unter den Waffen. Auf den Frauen und Müttern ruht eine große Verantwortung, größer denn je. … Wie eure Männer und Söhne draußen die Heimat schützen, so müsst ihr die Heimat von innen schützen gegen den inneren Feind, gegen den Geist der Sorge, gegen alle Mächte der Zersetzung. Treue und Opferwilligkeit, Güte und Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit und Ehrbarkeit sollen unter uns herrschen…
Schon vier Wochen nach den Bittgottesdiensten des 3. September konnte die Deutsche Evangelische Kirche am Erntedankfest 1939 Gott und Adolf Hitler Dank sagen für die gewaltige Ernte auf dem Schlachtfeld:
… Wir danken Gott, dass er unseren Waffen einen schnellen Sieg gegeben hat. Wir danken ihm, dass uralter deutscher Boden zum Vaterland heimkehren durfte und unsere deutschen Brüder nunmehr frei und in ihrer Zunge Gott im Himmel Lieder singen können. Wir danken ihm, dass jahrzehntealtes Unrecht durch das Geschenk seiner Gnade zerbrochen und die Bahn freigemacht ist für eine neue Ordnung der Völker, für einen Frieden der Ehre und Gerechtigkeit. Und mit dem Dank gegen Gott verbinden wir den Dank gegen alle, die in wenigen Wochen eine solche gewaltige Wende heraufgeführt haben: gegen den Führer und seine Generale, gegen unsere tapferen Soldaten auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft, die freudig ihr Leben für das Vaterland eingesetzt haben. Wir loben Dich droben, Du Lenker der Schlachten, und flehen, mögst stehen uns fernerhin bei.
Amen!
Aus Anlass des Sieges und im Gedenken an die gefallenen Soldaten läuteten in Großdeutschland eine Woche lang – mittags von zwölf bis eins – alle Kirchenglocken.
Jeden Blitzkrieg und Blitzsieg begleitete die Agende der Feldgeistlichen mit neuen Gebeten.
Zum Überfall auf die Niederlande (1939):
Herr, unser Gott, Du hast Krieg über uns kommen lassen. Lass uns jetzt erfahren, dass Du eine Feste bist zur Zeit der Not! … Schütze den Führer unseres Volkes und gib ihm weisen Rat, unserem Heere aber verleihe tapferen Mut und einen starken Arm. Hilf uns, die Opfer, die der Krieg fordert an Gut und Blut, willig zu tragen. …
Zur Eroberung Belgiens und Luxemburgs (1939):
Allmächtiger Gott, … segne den Führer unseres Volkes und hilf ihm, das schwere Werk der Verteidigung unseres Vaterlandes … durchzuführen mit Tatkraft und Entschlossenheit. …
Zum Einzug in Paris (1940):
Herr, unser Gott, wir gedenken in besonderer Weise des Führers und Kanzlers unseres Volkes. Du hast ihn bisher mit deiner Barmherzigkeit geleitet und sein Wirken im Frieden wie im Kriege mit Erfolg gekrönt. Du hast unter deiner Führung unser Vaterland behütet und bewahrt. Dafür danken wir dir von ganzem Herzen. Wir bitten dich: Gib Gnade, dass er seines schweren Amtes auch ferner in Segen walten möge. Gib ihm rechten Rat und rechte Tat zur rechten Zeit. …
Den Überfall auf die Sowjetunion quittierte man 1941 mit diesem Telegramm an Adolf Hitler:
Der geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche versichert Ihnen, mein Führer, in diesen hinreißend bewegten Stunden aufs neue die unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft der gesamten evangelischen Christenheit des Reiches. Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengang gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf. Das deutsche Volk und mit ihm alle seine christlichen Glieder danken Ihnen für diese Tat. … Der allmächtige Gott wolle Ihnen und unserm Volk beistehen, dass wir gegen den doppelten Feind den Sieg gewinnen. …
Kaum war im Mai 1945 die Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet, wendete sich das Blatt. Angeblich hatte die Bekennende Kirche standhaft dem NS-Staat widerstanden. Hatte 1940 beim Neujahrsempfang des Führers der päpstliche Nuntius Cesare Orsenigo von der Gestapo inhaftierte und gefolterte Priester noch als „Märtyrer ihrer eigenen Dummheit“ bezeichnet, so wurden jetzt Reinhold Schneider, Dietrich Bonhoeffer und ihre Leidensgenossen als Blutzeugen dieses Kampfes heroisiert. Die guten Verbindungen zum ökumenischen Rat der Kirchen wurden erfolgreich genutzt, um bei den westlichen Besatzungsmächten zu erreichen, dass die sogenannte Entnazifizierung kirchlicher Gremien und Würdenträger den Kirchen überlassen wurde. Im Ergebnis verlor nicht ein einziger Prälat oder Bischof sein Amt und auch die unteren Chargen wurden angemessen versorgt und untergebracht. Die ganz wenigen Kirchenhistoriker, die sich für eine redliche Aufarbeitung der kirchlichen NS-Vergangenheit einsetzten, wurden als Nestbeschmutzer verleumdet, diffamiert und ausgegrenzt.
Atombomben im Dienst der Nächstenliebe
Im Zuge der Remilitarisierung der BRD wurde sehr bald auch ein Militärseelsorgevertrag angestrebt. Auf einer Tagung der EKD-Synode am 29.6.1956 hatte die Mehrheit der Synodalen gefordert (Zitat), „endgültige Maßnahmen zur Ordnung der Militärseelsorge noch nicht zu treffen“
(Zitatende). Bischof Dibelius aber setzte sich als Vorsitzender des Rates der EKD über dieses Votum hinweg und unterzeichnete am 22.2.1957 unmittelbar vor der nächsten Tagung den längst vorbereiteten Vertrag mit der Bundesregierung – ein aus kirchenhistorischer Sicht ungeheuerlicher Vorgang. Die EKD war und ist nach dem Willen ihrer Gründer keine Kirche, sondern lediglich ein Kirchenbund. Kirchengesetzliche Bestimmungen mit Wirkung für die Gliedkirchen kann die EKD nur mit deren Zustimmung erlassen. Wie Jens Müller-Kent in seiner Dissertation zur Militär-seelsorge wahrheitsgemäß konstatiert, schuf der Rat der EKD mit seinen Entscheidungen zur Militärseelsorge Tatsachen, die die landeskirchliche und synodale Willensbildung außer Kraft setzten. Dass der Rat der EKD den Beschluss der Synode von 1956 völlig ignoriert habe, sei Ausdruck besonderer Geringschätzung gewesen. Unwidersprochen lehnte es auf der unmittelbar folgenden Synode im März 1957 folgerichtig dann der Synodale Prof. Walter Künneth, einer der Wortführer der frommen Kriegsbefürworter ab, „den Beruf des Waffenträgers kritisch-moralisch in Frage zu stellen, indem man etwa sagt: Mit dem Maschinengewehr darfst du schießen, aber hüte dich, Atomwaffen zu gebrauchen! Auch Atombomben können in den Dienst der Nächstenliebe treten.“ Und 1983 klagte Dekan Sixt auf dem Konvent der Militärpfarrer darüber, dass einer seiner Militärseelsorger unter der „Friedenshetze“ im Raum der Kirche „seelisch und körperlich fast zerbrochen sei“.
Auch Napalm muss nicht Sünde sein
Während des Vietnamkrieges, als der Einsatz von Napalmbomben in aller Welt Entsetzen auslöste, konfrontierte der für seine undercover-Recherchen bekannte Journalist Günter Wallraff in der Rolle eines von Gewissensfragen gequälten frommen Chemie-Fabrikanten, der ein Verfahren entwickelt hat, Napalm sehr viel billiger herzustellen, etliche Theologen mit der Frage, ob es Sünde sei, damit gigantische Gewinne zu erzielen und berichtete darüber in einer seiner „Unerwünschten Reportagen“ :
… Zuerst rufe ich bei der katholischen Telefonseelsorge in Frankfurt an. Der diensttuende Kaplan ist gefasst. Seine erste Reaktion: „In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken.“ Ebenso spontan sein Rat: “Ich würde es nicht tun. … Bei dieser fürchterlichen Sache in Vietnam, wo die Amis so brutal vorgehen …“ Außerdem, da ich das Napalm billiger liefern würde als andere Firmen, wäre es sogar eine „finanzielle Unterstützung des Krieges“. Und „selbst wenn dieser Krieg gerechtfertigt wäre“ – was er nicht annimmt – „stellt sich diese moralische Frage bei einem Mittel, das derartig fürchterliche Verletzungen hervorruft“. Ich danke ihm und sage, dass ich es nicht liefern werde. Noch ein paar Stichproben mit gleichem Ergebnis, und die mir selbst nicht ganz geheure Anfrage dürfte erledigt sein. Es kommt anders. In der Kirche einer nahen Kleinstadt stelle ich meine Frage zum zweiten Mal. Ein junger Kaplan hört mir zu, und ich erzähle wieder die Geschichte von dem Auftrag und dem Bombengewinn, der dabei herausspringen würde. Ich schließe: „Meinen sie, dass ich mich mitschuldig mache?“ Er sieht das Problem von einer anderen Seite: „Nein, von Schuld kann keine Rede sein. Es ist lediglich eine Entscheidung, die man persönlich fällen und mit Gott beratschlagen muss.“ Es sei auch ganz gleich, „wie ich mich entscheide, so oder so. Die Hauptsache, es ist eine Entscheidung mit Gott.“ …
Am nächsten Tag gehe ich in ein Kloster und wende mich an den Bruder Pförtner: „Ich brauche einen Rat. Ich möchte gern einen Priester sprechen.“ Nach fünf Minuten erscheint ein etwa 70jähriger Mönch in schwarzer Kutte. Ich erzähle meine Geschichte. Er: “Napalm, was ist denn das?“ und: „Vietnam, was geht denn da eigentlich vor?“ Ich beschreibe ihm die Wirkung von Napalm: „Es ist schlimmer als Phosphor, brennt sich in das Fleisch ein und kann nicht gelöscht werden. Das Fleisch der Opfer schmilzt in Klumpen und eitert. Ich habe Bilder von Kindern gesehen, die Opfer eines Napalm-Angriffs geworden sind. Es waren die grauenvollsten Verstümme-lungen, die man sich vorstellen kann.“ Er zerstreut meine Bedenken: „Da brauchen Sie eigentlich keine Gewissensbisse zu haben. Sie setzen die Bombe ja nicht ein, und ob sie überhaupt eingesetzt oder gelagert wird, ist dann noch eine zweite Frage.“ Er spricht sehr abgeklärt. „Das ist genauso, wie wenn jetzt der Einzelne zum Militär muss. Da kann er ja auch nichts machen. Die Verantwor-tung ist immer bei den Großen, das ist klar!“ Ich: „Weil wir es soviel billiger herstellen, könnte es sein, dass wir den Krieg verlängern helfen.“ Er unterbricht: “Nun ja, mein Lieber, Sie könnten ihn aber auch abkürzen helfen.“ (Ein Argument, das auch den Einsatz der Hiroshima-Bombe rechtfer-tigen sollte.) Er entlässt mich mit der Versicherung: „Glauben Sie, der kleine Mann kann da über-haupt nichts tun. Damit muss man einfach fertig werden. Die Gefahr einer Gewissensbelastung sehe ich in Ihrem Fall ganz bestimmt nicht.“ Aber er fügt noch hinzu: „Sehen Sie zu, dass Sie nicht ein-seitig in den Gewinnsog hineinstrudeln. Mit dem Geld können Sie ja dann auch allerhand Gutes tun.
Ein Jesuit ist sehr sachlich: „Fragt sich, ob Sie, wenn Sie den Auftrag ablehnen, überhaupt etwas verhindern können. Außerdem setzen Sie das Zeug ja schließlich nicht ein. Sie bleiben im Hintergrund. Das ist eine Regierungsentscheidung.“ Er bringt ein Gleichnis: „Das ist die gleiche Frage wie mit dem Messer. Wenn ich Messer verkaufe und es kommt einer, von dem ich weiß, der bringt damit einen um. Gleichzeitig weiß ich aber auch, der ist so fanatisch, der klappert noch fünf weitere Geschäfte ab, bis er sein Messer bekommt, auch wenn er den doppelten Preis dafür bezah-len muss. Da würde ich es ihm halt verkaufen. Ich bin schließlich Geschäftsmann.“ Mein Einwand: „Wenn jeder so denkt, …“ macht ihn etwas unsicher. „Nun ja ich hätte auch Hemmungen, aber wie weit man sich die ausreden kann, ist eine Frage der Vernunft.“ …
Danach Besuche bei neun weiteren Priestern und Kaplänen. Vier davon raten mir klar zu. Nur einer sagt, ich solle die Finger davon lassen. …
Am Telefon frage ich Prof. Klomps, eine Kapazität in allen Fragen der Moral und Lehrer am Kölner Priesterseminar: „Was würden Sie machen, wenn Sie in meiner Haut steckten?“ Klomps: „Es spielen da viele Erwägungen eine Rolle, aber ich würde es machen.“ Auch er hat gleich ein Beispiel zur Hand, nachdem ich ihm die verheerende Wirkung der Napalmbombe geschildert habe: „Die bischöfliche Weinkellerei in Trier, die liefern ja ihren Wein in die ganze Welt, und die können ja auch nichts dafür, wenn er dann in sündhaften Nachtlokalen ausgeschenkt wird, wo auch Nackttän-ze stattfinden. Da kann man das doch auch nicht dem Konvikt in Trier in die Schuhe schieben. Wir werden halt immer in Dinge verstrickt, die wir im Grunde nicht gewollt haben.“ …
Prof. Hirschmann, Jesuit aus dem Konvikt St. Georgen in Frankfurt, ist mir von mehreren Pfarrern als der Experte schlechthin auf diesem Gebiet genannt worden. Ich frage ihn: „Sie meinen also, dass ich da Schuld auf mich nehme, wenn ich das Napalm liefere?“ Er: „Das kann man nicht unbedingt so sagen. Das Entscheidende ist, wo und wie wird es eingesetzt.“ (Prof. Hirschmann war Konzilsberater in diesen Dingen und ist maßgeblicher Berater der Fuldaer Bischofskonferenz.) Ich: „Wie kann ich als Unternehmer wissen, wie und wo es im speziellen Fall eingesetzt wird. Für mich ist das eine grundsätzliche Frage.“ Er ist anderer Ansicht. Für ihn ist das überhaupt keine moralische, sondern eine „militärtechnische“ Frage. Deshalb verweist er mich an das Militärbischofsamt Bonn: „Generalvikar Gritz ist ein Mann, der bei militärischer Planung genauer Bescheid weiß. Auch kennt er Offiziere, die bei militärischer Planung ein Wort mitzureden haben. Generalvikar Gritz befindet sich auf einer Bischofsvisitation bei der Bundeswehr. Sein Stellvertreter, Prälat Steeger, nimmt sich dafür meiner an. Er ist sehr vorsichtig: „Offengestanden, am Telefon möchte ich dazu nicht viel sagen.“ Aber dann sagt er doch: „Für eine gerechte Sache darf man so etwas tun. Ob es eine gerechte Sache ist, das kann ihnen der Moraltheologe mit seinem Handwerkszeug auch nicht sagen. Das ist eine politische Frage.“ Und er verweist mich an die nächste Instanz: „Das müsste ein Bundestagsabgeordneter sein, der sich mit Außenpolitik ausführlich beschäftigt.“ …
Dann probiere ich es bei Prof. Egenter in München. Der ist mir als besonders gewissenhaft empfoh-len worden. Napalm kennt er jedoch nicht: „Sind das denn Brandbomben?“ Trotzdem urteilt er: „Ich meine, man kann eben auch Napalmbomben in einer menschlich korrekten Kriegsführung an-wenden. … Es ist ja auch eine Granate, auch ein Bajonett kein angenehmes Instrument.“ … Er glaubt auch nicht, „dass die Amerikaner die Napalmbomben im wesentlichen gegen Zivilisten einsetzen.“ Aber: „Ich mein, dass so etwas immer wieder mal vorkommt, das liegt schließlich im Bereich des menschlichen Versagens.“ Außerdem: „ Die brauchen die Napalmbombe ja wahrschein-lich nur, um den Dschungel zu verbrennen.“ „Ja“, sage ich: „ich glaube die Amerikaner nennen das, den Dschungel zu entlauben, obwohl hin und wieder auch ein Dorf dran glauben muss.“ Er: „Ich würde ja vor jedem Respekt haben, der sagt: Das kann ich nicht auf mein Gewissen nehmen. Ich würde aber auch keinen verachten, der sagt: Ich halte es unter diesen Umständen für richtig.“ Anschließend nennt er sich selbst als Beispiel: „Ich bin da schon sehr angegriffen worden wegen meiner Stellung zu den Atombomben.“ Denn er „bringt es einfach nicht fertig zu sagen, sie seien schlechthin unerlaubt … Wenn man bedenkt, was der Menschheit droht, wenn die freie Welt vom Kommunismus überfallen wird.“ In einem dreifachen Sinn erteilt er mir im voraus Absolution: „1. Der Zweck, zu dem es eingesetzt wird ist, aufs Ganze gesehen, ein guter. 2. Es bewegt sich im Rahmen dessen, was man konventionelle Kriegsführung nennt. Und 3. Wenn Sie es nicht herstellen, stellen andere es her.“ …
Prof. Auer, Würzburg, ebenfalls ein prominenter Moraltheologe, gibt zu: „Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage“, schränkt aber gleich darauf ein: „obwohl es sich dabei ja nicht um Atomwaffen handelt, sondern um eine fast noch traditionelle Sache.“ Grundsätzlich hat er nichts gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam: „Ich würde doch sagen, dass die Amerikaner echte Gründe haben, positive Gründe, diesen Krieg zu führen.“ – Er hat andere Bedenken: „Wirkt das nur auf die Menschen, die es unmittelbar trifft, oder hat es eine Streuwirkung?“ Ich: „ Wenn es fließt, dann breitet es sich sehr schnell aus.“ Er: „Oh, das ist außerordentlich schwierig.“ Ich: „Sie meinen, ich mache mich mitschuldig?“ Er: „Wenn Sie sonst eine Waffe herstellen, müssen Sie auch gewärtig sein, dass Unschuldige getroffen werden. Das würde mich eigentlich nicht beunruhigen. Mich beunruhigt nur, ob hier nicht noch etwas zu einer normalen Waffe Zusätzliches eingesetzt wird, das nicht mehr als menschlich bezeichnet werden kann.“ Ich: „Ist es nicht vielmehr das Neue, vor dem man erschrickt?. Wenn man die ersten Bomben hätte liefern sollen, hätte man sicher auch Bedenken gehabt.“ Er: „Es ist die Frage, ob es noch eine weitere Streuwirkung hat, durch die es unkontrollier-bar wird. Das war ja auch das Problem bei der Atombombe. Sie ist unter Umständen erlaubt, weil sie noch kontrollierbar eingesetzt werden kann. Ich: „ Aber in dem Sinne, da man dann auch sagen könnte, wenn man einen Schritt weitergeht, eine Bombe, die die ganze Welt zerstört, ist auch noch kontrollierbar.“ Er: „Es ist übrigens kein Kriterium, dass die Sache unter Umständen auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Das liegt ja nicht in Ihrer Hand. Sie können eine harmlose Pistole verkaufen und ein anderer bringt seine Frau damit um. Das mit dem Napalm ist für mich besonders schwierig, weil ich mir über die Realitäten kein präzises Bild machen kann. Ich weiß zu wenig über die genaue Wirkung.“ Ich: „Das könnte man auch erst dann wissen, wenn man im speziellen Fall selbst das Opfer ist.“ Dann kommt er zum wesentlichen Kriterium. Er ist für ein sauberes, schmerz-loses Töten. „Bei diesen neuen Dingen hat man eben immer ein sehr ungewisses Gefühl wegen der Wirkung. Mein Bedenken liegt jetzt hauptsächlich darin, dass also hier nicht die unausbleiblichen Verwundungen hervorgerufen werden, sondern dass zusätzliche Peinigung hervorgerufen wird.“ Ich: „Ist es nicht doch an erster Stelle eine grundsätzliche Frage, dass jedes Mittel, das zur Vernichtung von Menschen eingesetzt wird, zu verurteilen ist?“ Er: „Das würde ich nun nicht ohne weiteres sagen. Ich würde Unterschiede machen, ob ein Mittel nun diesen unumgänglichen Zweck sozusagen geradewegs erreicht oder ob eben eine solch schreckliche Form der Tötung gewählt wird. Ich: „Sie meinen, dass man durch Abschreckung den Krieg verkürzen kann.“ Er: „ Ja, damit hat man ja auch damals bei der Atombombe gerechnet. Es weiß ja noch immer niemand, ob es nicht im Endeffekt das geringere Opfer war, als wenn der Krieg noch jahrelang weitergegangen wäre.“ Ich erinnere ihn an die Bergpredigt: „Wenn es dort heißt: Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen, kann einem das schon imponieren.“ Er lässt die Bergpredigt aber aus folgendem Grund für diesen Fall nicht gelten: „Dann wäre ja überhaupt ein Krieg von vornherein unsinnig.“ Die Bergpre-digt gilt bei ihm nur „beim Verhalten von Mensch zu Mensch.“ …
Ein zweiter Moraltheologe, der mir ebenfalls rät, das Napalm nicht zu liefern, ist Prof. Böckle aus Bonn. Auch für ihn ist es keine militärische Frage, sondern „eine klare sittliche Entscheidung“, die er „im schwersten mitempfindet.“ Er ist verwundert: „Wo finde ich einen Industriechef, der sich überhaupt darüber Gedanken macht, wenn es um so ein Riesengeschäft geht?“ Und er nennt die Ausführung des Auftrags „ein Verbrechen an der Menschheit, … obwohl man da gewiss nach klassischer Moraltheologie herumlaborieren könnte.“
Ein „klassischer Moraltheologe“ ist sein Kollege Prof. Schöllgen: „Ich habe die beiden Weltkriege mitgemacht. Ich muss sagen: heute im modernen Krieg ist das praktisch egal, wie da jemand umgebracht wird. Wenn einer einen Bauchschuss mitbekommt oder ein Splitter die Wirbelsäule verletzt, dann ist er querschnittsgelähmt. Das kann schlimmer sein als Napalm. Deshalb muss man härteste Waffen einsetzen, denn wenn man darauf verzichtet, gibt man sich dem Aggressor preis.“ Der Aggressor ist in seinen Augen der Vietcong, vielmehr „das gesamte kommunistische Lager.“ Er sieht da „eine weltweite Verschwörung.“ Sehr imponiert hat ihm der Bericht des Militärberaters der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Adalbert Weinstein in der Sonnabendbeilage. „Der Weinstein sagt: Wenn die Amerikaner mit ihrer Taktik noch eine gewisse Zeit fortfahren, dann würde einfach der Partisanenkrieg austrocknen.“ (Ausbluten wäre wahrscheinlich die realistischere Bezeichnung, aber er sagt austrocknen.) Er warnt mich davor, mit meinem Gewissenskonflikt einen „Gesinnungs-menschen“ aufzusuchen: „Der würde ihnen am Ende noch abraten.“ Statt dessen müsse ich eine Haltung einnehmen, die er „Verantwortungsethik“ nennt. Schöllgen: „Ich muss Ihnen persönlich sagen, dass ich kein Freund der Radikalpazifisten bin. Man hat Sie wahrscheinlich an mich verwiesen, weil ich über diesen gesamten Komplex ein Buch geschrieben habe. Ich werde immer wieder um Artikel, Äußerungen und Vorträge gebeten. Da helfe ich immer in der Weise, dass ich ganz konsequent den Standpunkt des deutschen Soziologen Max Weber anwende, dass ich sage, mit Ostermärschen und allem dergleichen, mit einer reinen Gesinnung, da ist nichts zu wollen. Man muss eben die Verantwortung mit sich selbst entscheiden. Ich glaube, dass Arbeit für den Frieden eine ganz banale Arbeit ist.“ Ich: „Sie meinen, eine schmutzige?“ Er: „Ja. Es stehen sich nie schnee-weiße Engel und rabenschwarze Teufel gegenüber. Die Dinge mögen grauenhaft sein, aber man muss weiterdenken.“ Er wirft den Amerikanern „eine große sentimentale Dummheit“ vor. „Man steht heute auf dem Standpunkt, der Amerikaner hätte damals nur eine einzige Atombombe auf die Chinesen in Nordkorea zu werfen brauchen. Dann wäre der Krieg zu Ende gewesen. Und die Chinesen hätten nicht die Möglichkeit gehabt, heute selber Atombomben herzustellen. Sie sind ja jetzt schon bei der H-Bombe angekommen. Die ganze Serie der vollkommenen Aggression wäre dann nicht vorgekommen.“ „Das wäre dann vorbeugend gewesen,“ sage ich. Er: „Sie ,müssen vor allen Dingen die Sache soziologisch sehen. Ich habe jetzt dieses Interview von Niemöller gehört. Dessen Argumentation, die hängt eigentlich an ganz traditionellen Vorstellungen. Er tut so, als ob Vietnam ein abgegrenzter souveräner Staat sei. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall.“ Dann bringt er einen neuen Aspekt seiner moraltheologischen Strategie: „Man hat ja jetzt auch den endgültigen Nachweis geliefert, dass der 2. Weltkrieg durch Verrat entstanden ist. Es hat angefangen damals in Tokio mit dem Sorge und jetzt sind da diese fürchterlichen Geschichten herausgekom-men: Es hat sich in der Schweiz abgespielt.“ Er folgert daraus: „So muss man sagen, dass jeder Krieg, der gegenwärtig tobt und in Zukunft entsteht, zwei Seiten hat. Der hat eine Außenseite, die heute meist unehrlich und zur Tarnung ist, und eine Innenseite, und diese Innenseite ist die ideo-logische Auseinandersetzung.“ Ich: „Sie meinen, es geht um Christentum oder Kommunismus?“ Er: „Man muss noch weiter sagen, es geht vor allen Dingen um die Frage: totalitäre Diktatur oder Demokratie. Es geht also um die Frage einer freien Lebensführung. Da muss ich doch sagen, dass es ein Ideal ist, das verteidigt werden muss. Ich würde doch sagen, dass es genug Leute gibt, wenn die einmal wirklich erfahren, was Diktatur bedeutet, die würden vielleicht zum Selbstmord kommen.“ Er ist der Überzeugung, dass der Krieg im ganzen gesehen humaner geworden ist. „Im Mittelalter oder Altertum hat man sich halt gegenseitig Keulen über den Kopf geschmettert. Da hat sich schon allerhand gebessert, wenn man die Dinge z.B. vergleicht mit dem antiken Krieg. Bei dem heidnischen Krieg, da ging es immer um das Ausrotten von ganzen Völkern und soweit sie nicht ausgerottet wurden, waren sie Jagdbeute, kamen auf die Sklavenmärkte. Und über dieses Stadium sind wir doch weit herüber, zum Glück. Eine ganze Menge von Eingrenzungen. Das Schreckliche ist ja gerade, dass der moderne Partisanenkrieg diese Dinge unterhöhlt. Und das Schrecklichste ist eben diese Theorie von Mao Tse-tung, der sagt, die Partisanen müssen, das ist der Kernpunkt der Taktik, die Zivilbevölkerung als Schild benutzen. Das ist ungefähr so, als wenn ein Spitzbube irgendwo einen Einbruch macht und dann zwingt er Frau und Kinder, neben ihm zu bleiben. Und wenn dann die Polizei kommt und bedroht ihn mit der Waffe, ja, dann wird eine Frau oder ein Kind, die er dann einfach vor sich hält, dran glauben müssen.“ Für ihn geht es „letztlich um die Frage des Krieges überhaupt“ und er beantwortet sie so: „Ich sehe da gar keine Möglichkeit, die Dinge zu stoppen.“ Um mir die letzten Bedenken auszureden, sagt er: „Ob Sie nun diese Geschichte an die Amerikaner liefern oder irgendwie sonst mit ihnen Handel treiben, das kommt auf das Gleiche heraus.“ „Sie meinen, es ist ein Handel wie jeder andere?“ – „Ja, genau das.“ „Wenn`s so ist“, sage ich, „kann ich’s ja mit ruhigem Gewissen machen. Ich kann ja dann von dem Gewinn eine Spende an unsere Pfarrei machen.“ Er, erfreut: „ Ja, das ist eine Sache, über die sich reden lässt. Oder noch besser, wenn das Land befriedet ist, der Widerstand des Vietcong lässt ja schon spürbar nach, dann werden natürlich in der Form des Wiederaufbaus ungeheure Leistungen gefordert. Dann sollten Sie sich mal mit der Missionszentrale in Aachen in Verbindung setzen. Für uns Katholiken ist ja die ungeheure Tragödie, dass ein großer Teil der Bevölkerung gerade in Südvietnam gut katholisch ist. Und denen müssen wir dann wieder auf die Beine helfen.“
Um Ihre Geduld nicht über Gebühr zu beanspruchen, habe ich Wallraffs Text um die reichliche Hälfte gekürzt. Zähle ich die Aussagen aller 23 Theologen zusammen, so haben dem vorgeblichen Fabrikanten nur drei (also etwa 12 %) von der Lieferung abgeraten, sechs dagegen (also etwa 25 %) haben ausdrücklich zugeraten und alle andern haben sich wortreich um eine konkrete Aussage gedrückt.
Wie die Alten sungen, …
Abschließend will ich noch drei Beispiele aus meinem eigenen Erleben schildern:
Für das erste habe ich begreiflicherweise keinen Beleg. Als sehr frühreifes Kind haben meine Mutter und meine Schwägerin mich regelmäßig jede Woche zur Kriegsgebetsstunde mitgenommen. Die hielt oft Pfarrer Preiser, der gleichzeitig Pfarrer der Frauenkirche, Stadtjugendpfarrer für Görlitz und stellvertretender Bannführer der HJ war. Unvergesslich, wie er mit hoch erhobenen Händen Gott angefleht hat, er möge doch wie auf Sodom und Gomorrha Feuer und Schwefel regnen lassen auf die bolschewistischen Horden und unseren tapferen Soldaten endlich den Sieg verleihen. Im Februar 1945 aber setzte sich der tapfere Prediger ab nach Bayern, wo er bereits vor Weihnachten wieder als Jugendpfarrer tätig war und gewiss seine Gebete gegen die „rote Gefahr“ aus dem Osten unmittelbar fortsetzen konnte. In seiner frommen Biografie im Blog der „Gruppe Luther“ in Bayreuth werden freilich weder die Kriegsgebete, noch seine Funktion bei der HJ erwähnt. Statt dessen wird er zum Opfer der Machthaber des 3. Reiches erklärt. Aber das eine habe ich selbst erlebt und vom andern durch meine damals 16jährige Schwester erfahren, der ich auch über ihren Tod hinaus vertraue.
Im Januar 2017 stand im Mitteilungsblatt der Leipziger Gemeinde, für die ich fast 30 Jahre lang gearbeitet hatte, ein werbender Bericht über einen Schnupperkurs für minderjährige Schüler bei der Bundeswehr. Entsetzt habe ich fast ein Jahr lang gegen diese Werbung angekämpft. Kein einziges Gemeindeglied, von denen mich etliche noch persönlich kannten und seiner Zeit meine Arbeit wert-geschätzt hatten, hat mir beigestimmt. Mehrere haben mich als senilen Schwarzseher und Querulan-ten abgewertet. Aus dieser Zeit habe ich etliche Schriftsätze aufbewahrt.
Im April 2022 habe ich auf das Titelblatt des Gemeindebriefes der gleichen Gemeinde mit folgendem Text reagiert:
ELIMINIEREN
In einer Leipziger Kirchgemeinde erlebte erschreckende Kontinuität
1956 habe ich mit 21 Jahren als überzeugter Christ und begeisterter Kirchenmusiker meine zweite Kantorenstelle in Leipzig angetreten. Die Gemeinde bekam 1959 einen neuen Pfarramtsleiter. Den habe ich als herzensguten Menschen, aber auch als überzeugten Offizier und Militärseelsorger der deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg kennengelernt. In mehreren langen Gesprächen hat er versucht, mich jungen Berufsanfänger davon zu überzeugen, dass Hitler die Juden ja „eliminieren musste“, weil sie zuvor das deutsche Volk wirtschaftlich „stranguliert“ hatten.
Jetzt, im April 2022 (also 63 Jahre später), erhalte ich das aktuelle Nachrichtenblatt der gleichen Gemeinde und lese im einleitenden geistlichen Wort :
„Wie kann eine christliche Friedensethik aussehen in einer Zeit wie dieser? Ist Gewalt zur Verteidigung erlaubt? Ein biblisches Bild wie Schwerter zu Pflugscharen, das die kirchliche Friedensbewegung viele Jahrzehnte geprägt hat, erscheint da geradezu naiv. Den Menschen in der Ukraine, die zur Waffe greifen, so etwas abzuverlangen, wäre geradezu zynisch. …
Für diesen Angriff gibt es keine relevanten Gründe. Von der Ukraine ging keine unmittelbare Bedrohung für Russland aus, nicht einmal für die besetzten und inzwischen annektierten Gebiete.
Aus den Äußerungen des russischen Präsidenten Putin ist zu entnehmen, dass es um die Zerstörung der Ukraine als eigenständigen und unabhängigen Staat geht. Für die angegebene Begründung, dass ein Völkermord an der russischsprachigen Bevölkerung verhindert werden soll, fehlt jeder Beweis…
Die Forderung Schwerter zu Pflugscharen kann dennoch weiterhin als Forderung christlicher Friedensethik gelten, allerdings nur an den Aggressor – an Russland. …
Als Titelbild für diesen Gemeindebrief hat die Pfarrerin Zettel aus ihrer Kinderarbeit fotografiert, links unter der Überschrift „Ich habe Angst“, rechts unter der Überschrift „Ich hoffe“.
Darunter lese ich mit furchtbarem Erschrecken: „Das Putin eliminiert wird“ und „Ich hoffe, dass Putin ermordet wird“.
Einen Kommentar hält die Pfarrerin für überflüssig. Offenbar entsprechen diese kindlichen Äußerungen dem Inhalt ihrer Arbeit mit den Kindern.
Es ist mir nicht bekannt geworden, ob außer mir noch jemand von den etwa 4000 Empfängern des Gemeindebriefes an diesem Bild und seinem geistlichen Kommentar Anstoß genommen hat. Da ich nach wie vor das Leben in dieser Gemeinde mit regem Interesse verfolge, bin ich überzeugt davon, dass alle Leser damit einverstanden oder daran völlig desinteressiert waren. Nach meinem Verständnis entsprechen Bild und Text dem öffentlichen Mordwunsch einer ganzen Christengemeinde und unterscheiden sich in nichts von der Mordhetze Luthers und den Hexenprozessen des 16. bis 18. Jahrhunderts.
Resümee: In den 90 Jahren meines Lebens habe ich Kenntnis von so vielen Äußerungen und Aktivitäten nicht nur beider deutschen Großkirchen, sondern gerade auch der Bekennenden Kirche zur Begründung und Realisierung von Kriegen erhalten, dass es mir unmöglich geworden ist, ihren lautstarken Friedensbeteuerungen Glauben zu schenken.